Schwulsein bei der Feuerwehr.
Feuerwehr-Magazin
11/2010
Statistisch müsste es in jeder Feuerwehr, in jedem Löschzug und in jeder Löschgruppe homosexuelle Feuerwehrleute geben. Für viele von ihnen ist das Coming-Out aber schwierig. Bei Bedarf unterstützen ein Netzwerk und die Deutsche Jugendfeuerwehr dabei.
„Ein Schwuler kommt doch bei uns nicht in die Ausbildung.“ – Diesen Satz bekam Jens M. Anfang der 80er Jahre in einer großen deutschen Berufsfeuerwehr von einem Vorgesetzten zu hören, als er sich auf eine ausgeschriebene Stelle bewarb. Diejenigen Kollegen seiner Wachabteilung, die von seiner Homosexualität wussten, hatten damit kein Problem. Seine Vorgesetzten schon. „Ich war der einzige Bewerber, und bekam die Stelle trotzdem nicht. Urplötzlich wurde die Ausschreibung zurückgezogen“, erinnert sich M. „Die konservativen und männlich dominierten Berufe, zu denen ja auch die Feuerwehr zählt, haben noch einen langen Weg vor sich. Auch wenn sich die Toleranz insgesamt in den letzten Jahren deutlich vergrößert hat.“ M. ist heute Ende 50 und arbeitet noch immer bei der Feuerwehr.
Rund 1,2 Millionen Männer sind in freiwilligen, Jugend-, Berufs- und Werkfeuerwehren in Deutschland aktiv. Nach Schätzungen sind etwa fünf Prozent der männlichen Bevölkerung homosexuell. Demnach müssten in den deutschen Feuerwehren also rund 60.000 schwule junge und ältere Kollegen und Kameraden tätig sein. Für viele von ihnen ist ein selbstverständliches Sich-Bekennen zu ihrer Homosexualität am Arbeitsplatz noch immer problematisch und mit Angst verbunden. Wer sich outet, macht sich angreifbar. Auch das Bedürfnis, Angehörige oder Freunde schützen zu wollen, spielt oft eine Rolle. Vor allem in ländlichen Gebieten und bei sehr konservativen oder auch älteren Vorgesetzten. Und: Es gibt einen Unterschied zwischen der Situation bei den Berufs- und den freiwilligen Feuerwehren: „Bei letzteren kommt es des Öfteren zu Beleidigungen, Verleumdungen, Verächtlichmachungen bis zu Mobbing“, so Carsten Bock, Vorsitzender des verdi-Bundesarbeitskreises Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender.
Auch könne dies einen Druck erzeugen, „diese vermeintliche Benachteiligung oft nur durch 200% Leistung, zum Beispiel für die Dorfgemeinschaft, im Rahmen der Feuerwehr wieder ausgleichen wollen“, so Bock weiter. „Vor meinem Umzug 1997 nach Berlin lebte ich komplett ungeoutet. In der FF, engagiert in der Jugendarbeit, hielt ich es zu diesem Zeitpunkt für undenkbar, zu meiner sexuellen Orientierung zu stehen. Die Angst, mit Pädophilie in Verbindung gebracht oder dass Zuneigungen zu Kameraden, die ich phasenweise hatte, durchschaut werden, war einfach zu groß. Auch mit Rücksicht auf meine Familie bin ich mit meinem damaligen Lebenspartner weggezogen. In Berlin verlief mein Outing auf ganzer Linie unproblematisch. Heute arbeite ich auf einer Berufsfeuerwache. Ich habe immer noch Kontakte in die alte Heimat, meine Homosexualität ist und bleibt dort jedoch ein Tabu“, berichtet der 40-jährige Kai L.
Es gibt aber auch ermutigende Outing-Verläufe. Vor allem jüngere Kameraden berichten von positiven Erfahrungen. Sven D., 24 Jahre alt: „Geoutet hab ich mich, da war ich 19. Dadurch, dass einige meiner Freunde auch bei der Freiwilligen Feuerwehr sind, kam das Coming-Out dort automatisch. Weil ich nicht wusste, wie die älteren Kollegen darauf reagieren, brachte ich zuerst bei Gesprächen mit den Jüngeren das Thema scheinbar zufällig ins Spiel und wartete die Reaktionen ab. Erst nach einiger Zeit outete ich mich dann auch bei den älteren Kameraden. Das sprach sich natürlich rum, bald wussten es alle. Spott, Mobbing und Repressalien gibt es keine, die meisten Kameraden sind sehr tolerant. Sicher wird mal der ein oder andere Scherz gemacht, aber ich denke, das gehört zum offenen Umgang dazu. Wenn jemand den Bogen überspannt, sage ich das dann schon und versuche, die Sache zu klären. Aber es gibt leider immer auch wieder Negativbeispiele: Ein schwuler Kollege aus einer Nachbargemeinde wurde von seinen Leuten so lange gemobbt, bis er die Feuerwehr verließ.
1998 begannen zwei in der Jugendarbeit tätige Feuerwehrangehörige mit dem Knüpfen eines Netzwerkes für homosexuelle Kollegen und Kameraden. 2005 wurde schließlich der Verein „Feuerwehr-Gays“ gegründet. Die Interessensvertretung hat heute rund 100 Mitglieder, verteilt auf zehn Regionalgruppen. Lediglich in den neuen Bundesländern ist die Mitgliederzahl (noch) schwach. Alle dortigen Mitglieder sind deshalb übergreifend in der „Regionalgruppe Ost“ zusammengefasst.
Eine ihrer Hauptaufgaben sehen die Feuerwehr-Gays in der Aufklärung innerhalb der Feuerwehren. „Wir veranstalten Workshops, verteilen Flyer und Infomaterial in den Feuerwehren und Ausbildungsstätten und wollen auf diese Weise Gesicht zeigen“, so Jörg Berlin, der Vorsitzende des Vereins. Auch geht es darum, die Akzeptanz und Toleranz von Kollegen und Vorgesetzten gegenüber homosexuellen Feuerwehrleuten zu fördern. „Gleichzeitig wollen wir natürlich Betroffenen, die Probleme aufgrund von Mobbing oder Schwierigkeiten bei ihrem Coming-Out haben, Tipps geben. Und ihnen einen Rückhalt und die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch bieten.“ Auch Nicht-Mitgliedern helfen die Feuerwehr-Gays bei Problemen weiter. „Vertraulichkeit wird garantiert“, so Berlin. Anonyme Anfragen sind ebenfalls möglich. Innerhalb des Netzwerkes gibt es eine eigene Arbeitsgruppe, die Coming-Out-Beratungen anbietet. Bei Bedarf begleitet ein Gruppenmitglied sogar das Coming-Out-Gespräch in der Wehr. „Den allermeisten Kollegen und Kameraden hat ein offenes Eingeständnis ihrer sexuellen Identität mehr genutzt als geschadet“, weiß Berlin.
Ein weiterer Teil der Arbeit besteht in öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, wie beispielsweise die Präsenz mit Infoständen bei den Christopher-Street-Day-Demos in verschiedenen deutschen Städten. Auf der Interschutz beteiligten sich einige Mitglieder am Stand des Deutschen Feuerwehrverbandes an einer Diskussion zu dem Thema. In Zusammenarbeit mit dem Schwulen Forum Niedersachsen erarbeiten die Feuerwehr-Gays derzeit eine umfangreiche Informationsbroschüre. Darin enthalten sind unter anderem Erfahrungsberichte, ein Überblick zur Geschichte des Umgangs mit gleichgeschlechtlicher Sexualität sowie eine Vorstellung der Feuerwehr Gays. Ziel ist es, die Broschüre ab Herbst dieses Jahres kostenlos an Feuerwehren und Hilfsorganisationen in ganz Deutschland abzugeben. „Vom Land Niedersachsen gibt es dafür sogar Fördermittel“, berichtet Thomas Wilde vom Schwulen Forum Niedersachsen. Zweimal im Jahr treffen sich die Netzwerk-Mitglieder zu Bundestreffen an unterschiedlichen Orten in Deutschland.
„Als ich mit 30 in die FF eintrat, war ich mir meiner Homosexualität ganz klar bewusst. An das Thema Coming-Out traute ich mich lange Zeit nicht heran. Über meine Veranlagung zu sprechen, war ich noch nicht bereit. Dank der Feuerwehr-Gays, zu denen ich über zwei Freunde fand, bin ich wesentlich offener geworden. Inzwischen engagiere ich mich dort auch und fahre zu den Regionaltreffen nach Köln. Mittlerweile wissen einige Kameraden innerhalb meiner Wehr von meiner Homosexualität. Sie haben diese sofort akzeptiert, meist begleitet von Bemerkungen wie: War doch eigentlich klar! oder: Habe ich doch immer schon gewusst. Böse oder ablehnende Kommentare gab es nicht. Wenn ich angesprochen werde, antworte ich klar und ehrlich. So gesehen, gehe ich mittlerweile offener mit dem Thema um“, erzählt Tim W. , 48 Jahre.
Mit den Feuerwehr-Gays arbeitet auch die Deutsche Jugendfeuerwehr zusammen. Im Rahmen der 2007 gestarteten Integrationskampagne „Unsere Welt ist bunt“ veranstalteten beide Institutionen 2009 das gemeinsame Seminar „Jugendfeuerwehr und Homosexualität“ in Berlin. Inhaltlich ging es um die sexuelle Selbstfindung, Integration, Aufarbeitung von Vorurteilen und Klischees, Kompetenz im Umgang mit Homosexualität sowie vorurteilsfreie Kommunikation. Seminare zu dem Thema gab es auch 2008 im Rahmen des Delegiertentages der Deutschen Jugendfeuerwehr im niedersächsischen Uelzen.
Und 2009 war Homosexualität und Feuerwehr während des 34. Delegiertentages der Hessischen Jugendfeuerwehr in Kassel und Habichtswald-Dörnberg ebenfalls ein Gesprächsgegenstand. Egal ob in der Jugendfeuerwehr, in der Familie oder in der Schule: In der Pubertät wird das Thema Sexualität plötzlich wichtig. „Wenn die Jugendlichen merken, dass sie homosexuell sind, ist dies oft mit der Angst verbunden, diskriminiert oder verspottet zu werden. Dies nehmen wir ernst und versuchen, beispielsweise durch Seminare die Jugendwarte zu schulen, um genau diese Ängste abzubauen und um einen vertrauensvollen Schutzraum bieten zu können“, erklärt Sven Gramstadt, Bildungsreferent der Deutschen Jugendfeuerwehr (DJF).
Auch der Umgang mit Sprache gehört zum Spektrum der Seminare dazu. Häufig verwenden Jugendliche Begriffe wie schwul oder Schwuchtel als Schimpfwort oder vollkommen gedankenlos. „Gerade wenn in der Familie oder in der Schule ein Coming-Out schwierig erscheint, ist es um so wichtiger, dass die Jugendlichen sich damit Betreuern in der Jugendfeuerwehr anvertrauen können. Auch dies gehört zum Erziehungs- und Bildungsauftrag, den wir als außerschulischer Bildungsträger zu erfüllen haben“, so Gramstadt weiter.
Auch in Ausgaben der Verbandszeitschrift Lauffeuer (2008), dem Arbeitsheft Integration in der Jugendfeuerwehr (2008) und der Fachzeitschrift des Hessischen Jugendrings, der Hessischen Jugend (2004), wurde Homosexualität schon ausführlich und für die Jugendlichen behutsam behandelt. Außerdem werde gut mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) zusammengearbeitet.
Im Juni dieses Jahres beteiligte sich die DJF an den jährlich in Berlin stattfindenden Respect Gaymes. Die Veranstaltung wirbt mit Sportturnieren, Infoständen, Workshops und Bühnenprogramm für Toleranz gegenüber Homosexuellen. Erklärtermaßen hat sich auch der Deutsche Feuerwehrverband auf die Fahnen geschrieben, „die Mitgliedervielfalt zu stärken, unterrepräsentierte Gruppen zu gewinnen und eine Willkommenskultur aufzubauen“, wie DFV-Pressereferentin Silvia Darmstädter erläutert.
Wie die Berichte im Text, zahlreiche Erfahrungen der Feuerwehr-Gays und Einschätzungen von verdi zeigen, scheint sich insgesamt die Akzeptanz homosexueller Kollegen bei der Feuerwehr in den letzten Jahren merklich verbessert zu haben. Die positiven Beispiele, sowohl bei der BF als auch bei der FF, überwiegen. Auch im Unterschied zu anderen Institutionen (mit ähnlichen Strukturen) sei die Situation für Schwule im Ganzen positiver: „An erster Stelle liegt das daran, dass gegenüber den zu Versorgenden immer eine Grundhöflichkeit erwartet wird, die sich auch auf das Verhältnis zwischen den Kollegen überträgt. Bei beispielsweise Polizei, Zoll und Bundeswehr kommt es wesentlich häufiger zu Mobbing auf Grund der Homosexualität. Das liegt zum einen daran, dass die in der sogenannten ,Eingriffsverwaltung’ Tätigen, also Menschen, die in die Lebensbereiche anderer eingreifen dürfen, dieses Recht oftmals so verinnerlicht haben, dass es auch gegenüber den eigenen Kollegen angewandt wird. Zum anderen verhindert der in diesen Bereichen praktizierte Korpsgeist, dass Mobbingfälle schnell aufgeklärt beziehungsweise von Vorgesetzten verhindert werden können“, so Carsten Bock von verdi.
„Also Ängste, neugierige Fragen und Vorurteile gab es natürlich. Sicherlich, weil ja keiner wusste wie er sich zum Beispiel beim Umziehen verhalten sollte. Es passte ja schon mal nicht ins Bild, dass ich anstatt mit einem Handtäschchen mit einem Strahlrohr zum Brandeinsatz vorging. Allgemein bin ich damit sehr offen umgegangen und habe viel vom Schwulsein erzählt. Nicht selten sagten mir dann die Kameraden: ,Das ist ja bei euch die gleiche Schei… wie bei uns mit den Frauen.’ Ich lebe heute offen schwul in meiner Einheit, habe mit meinem Schwulsein dort keine Probleme und oute mich in der Regel sehr schnell. Allerdings bin ich berufsbedingt heute nicht mehr in der Feuerwehr, in die ich als Jugendlicher eintrat. Da war das mit dem Coming Out wesentlich schwieriger“, erzählt Andreas K., 44 Jahre.
Die Feuerwehr-Gays möchten zusätzliche Kooperationspartner gewinnen und die Fäden ihres Netzwerkes künftig noch enger spannen, vor allem in den neuen Bundesländern und in strukturschwächeren Regionen. Auch um zu schauen, wie in anderen Wehren mit dem Thema umgegangen wird. „Unser Fernziel ist natürlich“, so Jörg Berlin, „dass unsere sexuelle Orientierung soweit akzeptiert ist, dass wir die projektbezogene Arbeit zunehmend hinten anstellen und dem Netzwerk eine inhaltliche Neuausrichtung geben können. Dazu könnte dann auch zählen, die gemeinsamen Freizeitaktivitäten auszuweiten.“
Dieser Bericht befasst sich mit der Situation schwuler Feuerwehrleute. Alle im Text erwähnten Institutionen sind selbstverständlich gleichermaßen Anlaufstellen für homosexuelle Frauen, Bisexuelle oder Transgender in Feuerwehren und oder Einrichtungen des Zivil- und Katastrophenschutzes.