Ein blindes Paar zeigt Kindern die Welt.
SOZIALCOURAGE
02/2010
Im Wohnzimmer von Jacqueline und Maurice Schönefeld steht eine wunderschöne, majestätisch anmutende Stoffgiraffe. Sie ist so groß, dass sie beinahe mit dem Kopf an der Decke anstößt. Damit das nicht passiert, muss sie den braun-beige gemusterten Hals eindrehen: So scheint es, als ob sie den eintretenden Besucher direkt ansieht. Sie seien Afrika-Fans, erklärt Maurice Schönefeld, und die Giraffe habe er zufällig in einem Laden in der Leipziger Innenstadt entdeckt.
Die zwei, die hier wohnen, können, seit sie Anfang 20 sind, gar nicht (sie) oder kaum mehr (er) sehen; ein Farb- und Raumvorstellungsvermögen jedoch ist ihnen beiden in Erinnerung geblieben. Er ist 35, gelernter Koch und kocht regelmäßig ehrenamtlich in einer Leipziger Einrichtung für Obdachlose, sie ist 45, hat Bürokauffrau gelernt und engagiert sich heute beim Kinderschutzbund am Kinder- und Jugendtelefon. Kennengelernt haben sie sich während der Ausstellung „Dialog im Dunkeln“, „Liebe auf den ersten Griff“ sei es gewesen …
Seit Mai 2010 bietet das Paar Führungen für Schüler der Klassen eins bis fünf und Hortkinder in der Deutschen Zentralbücherei für Blinde (DZB) an. Insgesamt 30 Rundgänge haben sie allein im letzten Jahr gemacht, mit viel Erfolg und großer Resonanz. „Die Idee dafür kam mir in der Straßenbahn“, erzählt Maurice Schönefeld. „Da fuhr eine Kindergartengruppe mit und die Kleinen haben uns Fragen gestellt. Ich hab dann der Erzieherin meine Karte gegeben und ihr gesagt, sie könne uns anrufen und wir würden vorbeikommen und von unserem Nicht-Sehen-Können und dem Alltag damit erzählen. Das hat sie dann auch prompt gemacht.“
Es ergibt sich eine Art Schneeball-Effekt. Immer mal wieder erklärt das Ehepaar fortan Kindergruppen Orientierungsmittel wie den Langstock oder sprechende Uhren, erläutert Punktschriftbücher und beantwortet Fragen wie „Kann man als Blinder ein Auto fahren?“ oder „Wie schreibt man, wenn man blind ist?“ oder „Macht ihr Sport?“ oder „Nummeriert Ihr Euch die Schränke?“ oder „Wie isst ein Blinder, wie findet er seinen Mund?“ oder „Wie macht ihr Computerspiele?“ oder „Wie merkt man, dass man zu Hause ist?“.
Vom Direktor der DZB werden sie – seit Ende der 90er Jahre selbst regelmäßige Nutzer der Bibliothek – schließlich gefragt, ob sie in den dortigen Räumlichkeiten ehrenamtlich Führungen für kleine Besucher anbieten möchten.
„Viele, die kommen, haben im Unterricht schon über das Thema gesprochen und sind meist ziemlich aufgeregt und neugierig. Wir stellen uns dann erstmal vor und erzählen von uns, fragen die Kinder anschließend, ob sie selbst auch in Bibliotheken gehen, und erklären schließlich das Verfahren der Blindenbücherei. Hin und wieder fällt uns an den Reaktionen auf, dass manche Kinder kaum lesen“, erzählt Jacqueline Schönefeld.
Die DZB hat keinen Lesesaal. Bibliotheksnutzer teilen ihre Ausleihwünsche per Anruf, E-Mail, Fax oder Brief mit. Die Mitarbeiter der Punktschriftbücherei versenden die Bücher in Koffern, Hörbücher werden in Kisten aus Plastik nach Hause geliefert – bundesweit und ins Ausland, immer kostenlos. Ein bis drei Monate können die Nutzer ihre ausgeliehenen Medien behalten, dann geben sie die Bücher bei der Post ab oder werfen sie in den DZB-Briefkasten. Ferner erzählen die beiden den Kindern über das Punktschriftsystem und dessen Erfinder Louis Braille, zeigen den Kleinen Punktschriftbücher, Atlanten und Kalender mit Reliefs und erklären eine Punktschriftmaschine.
„Von mir bekommen sie dann Punktschrift-Alphabete ausgeteilt und dann sollen sie mir sagen, welches der jeweilige Anfangsbuchstabe ihres Namens ist“, so Jacqueline Schönefeld. Ein Rundgang durchs barrierefreie Haus und Blicke ins Tonstudio, in die Reliefabteilung oder in die Buchbinderei sind ebenfalls Bestandteil der rund anderthalbstündigen Führungen.
Sarah Lucarda Förster, die Koordinatorin der Führungen sagt: „Ich freue mich sehr, dass sich das Interesse an unserem Haus und am Thema Blindheit in den vergangenen Monaten gesteigert hat. Die Kinder kommen of mit konkreten Fragen und ich bin begeistert wie Jaqueline und Maurice Schönefeld auf sie eingehen.“